06.07.2022

„Stress“ im Baugewerbe: Zahlen und Fakten

„Stress“ ist in eigentlich allen Branchen des Arbeitslebens zunehmend Thema – und damit auch in der Baubranche. Doch wie präsent ist das Thema Stress im Bereich Bau wirklich und was sind die Besonderheiten der Branche? Dazu haben wir interessante Zahlen und Fakten zusammengetragen.

Viele Beschäftigte sind auch in der Bauwirtschaft von Zeit- und Termindruck betroffen. Eine Befragung des Arbeitsmedizinisch-Sicherheitstechnischen Diensts der Berufsgenossenschaft Bau aus dem Jahr 2018 mit mehr als 5.600 Beschäftigten aus der Bau- und Reinigungsbranche stellt diesen Fakt unter Beweis. So litten mehr als 60 Prozent der Befragten unter Zeit- und Termindruck, die Hälfte davon fühlte sich davon gar belastet. Besonders die 35- bis 45-Jährigen sind betroffen. Der Grund: Eine Vielzahl an Aufgaben – im Job und neben dem Job. Ob Kindererziehung, Hausbau oder die Übernahme von Führungsaufgaben – gerade in diesem Alter kommen viele Faktoren zusammen, die Stress auslösen können. 
 
Aber nicht nur die Aufgaben an sich sind das Problem in der Bauwirtschaft. Auch die Zusammenarbeit. Eine internationale Studie, an der 13.000 Beschäftigte aus dem Baugewerbe teilgenommen haben, zeigt: Neben dem Wettbewerb und der knappen Zeit in der Baubranche ist auch der Umstand, dass verschiedene Gewerke voneinander besonders abhängig sind, ein enormer Stressfaktor. Das Portal psychologie-heute.de, das sich mit der wissenschaftlichen Studie im Detail auseinandergesetzt hat, skizziert einen Teufelskreis: „Passiert ein Fehler und ist die Zeit ohnehin knapp, führt dies dazu, dass noch mehr Zeit benötigt wird. Während nachgebessert wird, können die nachfolgenden Gewerke nicht weitermachen – was dann auch häufig zu Konflikten führt.“
 
Dass die Situation auch dem Fachkräftemangel bzw. weniger Einstellungen geschuldet ist, betont die IG Bau. Trotz steigender Gewinne haben Unternehmen der Baubranche in den vergangenen Jahren weniger Fachkräfte eingestellt – wohl auch aufgrund der mangelnden Anzahl an potenziellen Kandidat:innen. Zahlen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegen dies nur allzu gut: Mit 191.000 offenen Stellen in der Bauwirtschaft waren die Vakanzen im ersten Quartal 2022 viermal so hoch wie im Jahr 2010, während die Umsätze im Bauhauptgewerbe laut Statistischem Bundesamt in den Monaten Januar bis März 2022 um 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen sind. Das heißt: Immer mehr Arbeit verteilt sich auf immer weniger Schultern. Umso wichtiger ist ein professioneller Umgang mit dem „Mehr“ an Arbeit. 
 
Was den Status-quo noch zusätzlich befeuert: Die Beschäftigten, die den personellen Missstand schon seit Jahren im wahrsten Sinne des Wortes stemmen müssen, kehren dem Baugewerbe mehr und mehr den Rücken. Von zehn Berufseinsteigern arbeiten laut der Gewerkschaft IG Bau fünf Jahre nach der Gesellenprüfung nur noch vier auf dem Bau. Von den restlichen wandere ein Großteil in die Industrie ab. Aufgrund des massiven Fachkräftemangels warnt die IG Bau vor einem Burn-out des Baugewerbes. Ziel muss es sein, dass Beschäftigte nicht ausbrennen und ihr berufliches Glück nicht in anderen Branchen suchen. Das Baugewerbe muss attraktiv bleiben. Und dazu kann jedes Unternehmen auf seine Weise beitragen. Mit mehr Struktur, einem positiven Umfeld, mit Ausgleichsangeboten zur Arbeit aber auch mit attraktiven Benefits, die über das „Normale“ hinausgehen. Konkrete Tipps dazu gibt es auch im Interview mit Sascha Wiehager von der BWI-Bau GmbH.

https://www.optitime.eu/interview-mit-sascha-wiehager-stress-und-psychische-belastungen-der-baubranche